Bericht von der Diskussionsveranstaltung zum Thema Spartengewerkschaft oder Einheitsgewerkschaft

Die Rolle der Gewerkschaften in den gegenwärtigen Arbeitskämpfen

Der Arbeitskreises Gewerkschaft und der Spandauer Bezirksverband der Partei DIE LINKE luden zu einer Diskussionsveranstaltung mit dem Thema

"Spartengewerkschaft oder Einheitsgewerkschaft - Die Rolle der Gewerkschaften in den gegenwärtigen Arbeitskämpfen" ein.


Das Podium war „prominent“ besetzt mit

Klaus Ernst Mitglied des Bundestages, stellvertretender Fraktions­vorsitzender der LINKEN, Leiter des Arbeitskreises Wirtschaft, Arbeit und Finanzen;

Peter Keibel IG Bauen-Agrar-Umwelt, Mitglied im Bezirksvorstand Berlin und

Ralf Rippel, Sprecher der AG Betrieb und Gewerkschaft im Berliner Landesverband der LINKEN. Lars Leschewitz, stellvertretender Vorstandssprecher des Bezirksverbands Spandau, leitete die Diskussion.

Viele Gewerkschafter aus dem Bezirk, Vertreter der sozialdemokratischen AfA und Mitglieder der Spandauer LINKEN und Sympathisanten waren der Einladung gefolgt. In einer bemerkens­wert lockeren Atmosphäre beteiligten sich viele der über 35 Anwesenden an der Diskussion.

Klaus Ernst ging einleitend auf das von der Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD beschlossenen „Tarifeinheitsgesetz“ ein, dass von der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) eingebracht wurde. Danach soll nur noch der Tarifvertrag der mitgliederstärksten Gewerkschaft im Betrieb zur Anwendung kommen, was einem faktischen Streikverbot für die jeweils kleinere Gewerkschaft gleichkommt. Wenn trotzdem die jeweils „unterlegene“ Gewerkschaft streikt, geht diese ein hohes finanzielles und juristisches Risiko ein, da Gewerkschaften bei "unrechtmäßigen" Streiks in Haftung genommen werden können. Ähnliche Angriffe auf das hier grundgesetzlich garantierte Streikrecht sind nicht nur in Deutschland, sondern EU-weit zu beobachten.

Um festzustellen, wie viele Mitglieder in den einzelnen Gewerkschaften im gegebenen Betrieb organisiert sind, sollen Listen der Gewerkschaftsmitglieder eines Betriebes erstellt und z. B. bei einem Notar hinterlegt werden. Die Offenlegung der Gewerkschaftszugehörigkeit von Einzelmitgliedern widerspricht aber der informationellen Selbstbestimmung des Einzelnen. Ohne Befragung der einzelnen Beschäftigten sind zuverlässige Mitgliederzählungen jedoch nicht möglich.

Die Unternehmen weichen durch den Austritt aus dem Arbeitgeberverband oder durch Mitgliedschaft ohne Tarifbindung den Tarifverträgen aus. Die Aufspaltung von Betrieben bzw. die Ausgliederung von Betriebsteilen durch die Unternehmen führt dazu, dass die dem Arbeitgeber genehmere Gewerkschaft Tarifpartner wird und bleibt. Wenn das nicht machbar ist, kann es bis hin zur Schließung von Betrieben bzw. Betriebsteilen gehen.

Vom Podium und den Diskussionsteilnehmern gab es eine solidarische Haltung zu dem berechtigten Streik der Gewerkschaft der Lokführer. Die Diffamierung der Streikenden wurde zurückgewiesen. Kritisch debattiert wurde, dass die Fach- oder Spartengewerkschaften nur die Interessen einer bestimmten Berufsgruppe vertreten, was zu einer Zersplitterung der organisierten Belegschaften, zu einer Durchlöcherung der Flächentarife und zur Bildung von Funktionseliten führt. Erschwert wird dabei auch die internationale Zusammenarbeit der Gewerkschaften.

Dem gegenüber stehen die im DGB zusammengeschlossenen Einzelgewerkschaften. Wenn auch dem DGB eine politische Ausrichtung zugunsten der SPD attestiert wird, bleibt die Grundlage für eine Einheitsgewerkschaft die parteipolitische Neutralität.

Insbesondere von Klaus Ernst wurde mehrfach auf das Gutachten von Prof. Dr. Wolfgang Däubler zum Gesetzentwurf der Bundesregierung verwiesen. Er zitierte folgenden Abschnitt:

„Die geplante gesetzliche Regelung gestaltet die Rechte einzelner Gewerkschaften aus Art. 9 (3) Grundgesetz nicht aus, sondern schränkt sie in weitestem Umfang ein. Der faktische Entzug des Rechts, Tarifverträge abzuschließen und dafür einen Arbeitskampf zu führen, stellt einen denkbar weitreichenden Eingriff dar, der nur noch durch ein Gewerkschaftsverbot übertroffen werden könnte. Es handelt es sich bei der geplanten Regelung nicht um eine Ausgestaltung von Grundrechten, sondern um einen massiven Eingriff in die Koalitionsfreiheit (...) Als Ergebnis bleibt daher festzuhalten, dass das vorgeschlagene Gesetz nicht geeignet ist, seine proklamierten Ziele zu erreichen. Es schafft im Gegenteil zusätzliche Rechtsunsicherheit und differenziert ohne ausreichenden Grund zwischen einzelnen Formen von Gewerkschaften.“

Auch andere Juristen und juristische Verbände kritisierten das Gesetz wegen der geschaffenen Rechtsunsicherheiten und der Aushöhlung der grundgesetzlich verbrieften "Koalitionsfreiheit". Es besteht also eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass das „Tarifeinheitsgesetz“ vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand haben wird.

Im Zusammenhang wurde beschrieben, dass die Umsetzung der Agenda 2010 in Deutschland zu einem ausgedehnten Niedriglohnbereich und zur Prekarisierung großer Teile der Gesellschaft geführt hat.

Der Arbeitskreis Gewerkschaft wird den Vorschlag aus dem Podium aufgreifen und im Bezirk über den wahren Kern des „Tarifeinheitsgesetz“ informieren, um Widerstand gegen die Aushöhlung des Streikrechts zu entwickeln! Gemeinsam mit den betroffenen Beschäftigten, ihren Gewerkschaften und politischen Organisationen!

 

Das Gutachten von Wolfgang Däubler zum Tarifeinheitsgesetz

AK Gewerkschaft im Bezirksverband Spandau der Partei DIE LINKE